Hinweis: Keine Werbung, niemand sponsert mich (schon gar nicht Putin). Nur ein Beispiel für eine phänomenale Marketingstrategie, die dir als Inspiration dienen darf. Von der aktuellen russischen Regierung und ihren Meinungen, Entscheidungen und Taten distanziere ich mich ausdrücklich.
Neulich hat mir mein Freund dieses Foto aus einem stinknormalen russischen Supermarkt geschickt, mit dem Kommentar: Ich bewundere ihre Marketingfähigkeiten. Es ist nur Wodka, eine Mischung aus Wasser und Ethanol, aber die Flasche ist so attraktiv🤪😂

„Stimmt“, dachte ich. „Die kennen offensichtlich ihre Zielgruppe und haben sich echt Gedanken gemacht.“
Und ich mir auch. Nämlich über die (Hinter)gedanken jenes Wodkaherstellers, als er diese phänomenale Marke entwickelte.
Kein Drink der Oligarchen
550 Rubel entsprechen gemäß heutigem Wechselkurs etwa 5,99 Euro (Stand: 08.07.2025). Das ist im Land von Wodka und Wolga nicht gerade ein Billigfusel, aber auch nicht unbedingt das Lieblingsgesöff der Oligarchen.
Würde man es mit dem Prestigelevel von Autos vergleichen, entspreche es meiner subjektiven Einschätzung nach vielleicht einem VW Golf. Kein Auto, mit dem man ’ne Angebertour durchs Viertel knattern kann, aber auch kein Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen.
Trotzdem steckt diese flüssige Kater-Garantie in einer Flasche, die auch hinter dem Barmann eines 5-Sterne-Hotels eine gute Figur abgeben würde.
An Selbstbewusstsein mangelt es dem Hersteller gewiss nicht. Denn er bezeichnet seinen hochprozentigen Mix aus Wasser und Ethanol nicht nur als Wodka, sondern als Fenomen (zu Deutsch: Phänomen) und verspricht „phänomenale Qualität“.
Wie wirkt das?
Mit dem Begriff phänomenal können die Leute im Supermarkt natürlich vieles verbinden:
- Phänomenalen Geschmack, der dir den letzten Keim von der Zunge brennt
- Phänomenale Freitagnacht mit den Kumpels, Fisch und genau diesem Gesöff
- Phänomenale Kopfschmerzen am nächsten Morgen (vermutlich eher die Realität als die Intention des Herstellers)
Zwei Lektionen, die wir von Fenomen lernen können
1. Der Hersteller verspricht, wovon die Zielgruppe träumt
Die Zielgruppe sind natürlich genau die Leute, die beim Anblick dieser Flasche entweder aus Neugier auf den phänomenalen Geschmack ins Regal greifen oder weil sie eine phänomenale Nacht mit ihren Freunden verbringen wollen.
Während Menschen, die vor allem an die Kopfschmerzen denken, wahrscheinlich ohnehin nicht vorhatten, eine Flasche Wodka zu kaufen. Wir müssen also nicht allen Interpretationsmöglichkeiten unseres Marketings Beachtung schenken. Solange unsere Zielgruppe darauf abfährt, ist alles gut (oder всё хорошо, wie der Russe sagen würde).
2. Der Hersteller weiß, was seine Zielgruppe antreibt
Die Zielgruppe sind Menschen aus der Mittelschicht, die sich aber gerne wie die Oberschicht fühlen würden.
Nicht die Unterschicht aus dem Plattenbau, aber auch nicht Putin höchstpersönlich.
Daher ist der Preis für die Zielgruppe angemessen, doch sie bekommt dafür ein Produkt, das geradezu Superlative verspricht und auf dem Tisch schick aussieht.
👉 Und deshalb ist es im Marketing ein MUSS, dass du eine Zielgruppe hast und sie so gut kennst und einschätzen kannst wie dein Lieblingshobby.
Die AIDA-Falle schnappt zu
Das Akronym AIDA steht für Attention, Interest, Desire und Action – die 4 Dinge, die Unternehmen mindestens mit ihrem Marketing auslösen müssen, um ihre Produkte in die Einkaufswägen ihrer Kundschaft zu befördern.
So könnte die Sache gemäß der AIDA-Formel ablaufen:
Iwan huscht am Freitag um 17 Uhr noch schnell in den Laden um die Ecke, bevor 2 Stunden später seine Kumpels aufkreuzen.
Was er will, weiß er genau: Fisch, Chips, Wodka. Und ne Flasche Kefir für die Katerbehandlung am nächsten Morgen.
Attention
Als er sich dem völlig überladenen Wodkaregal nähert, erregt diese phänomenale blaue Flasche sofort seine Aufmerksamkeit. Sie sticht so aus der Masse heraus, dass sein Blick an ihr kleben bleibt wie am Körper einer schönen Frau.
Interest
Ein nimmt sie aus dem Regal und betrachtet sie von allen Seiten. Diese Flasche würde auf seinem Küchentisch heute Abend echt fancy aussehen – und die Kumpels hätten keine Ahnung, dass er dafür „nur“ 550 Rubel hingeblättert hat. Den Eindruck, den er damit bei ihnen schinden würde, ist ihm die Investition dermaßen wert, dass er sich die günstigeren Standardflaschen im Regal darunter gar nicht erst anschaut (obwohl die eigentlich eher seinem Budget entsprechen würden). Sein Interesse an der phänomenalen blauen Flasche ist geweckt.
Desire
Hm, aber eigentlich sind 550 Rubel ja schon ganz schön viel … und eigentlich wollte er nicht so viel ausgeben, weil er neulich erst einen neuen Laptop gekauft hat. Aber … die Flasche sieht so toll aus. Und … einmal ist keinmal, oder? 😬
Action
Die Flasche rutscht in Iwans Einkaufskorb. Allein beim Gedanken, wie seine Kumpels heute Abend gucken werden, fängt sein Herz an zu hüpfen wie an Neujahr in seiner Kindheit (was im orthodoxen Russland etwa so bedeutungsvoll ist wie unser Weihnachten).
Was Iwan wirklich gekauft hat
- einen phänomenalen Abend mit seinen Kumpels
- eine phänomenale Befriedigung seines Egos
- eine Flasche mit einem halben Liter Wasser, Ethanol und ein paar anderen Chemikalien, die seine Gesundheit längerfristig phänomenal ruinieren werden
Doch er ist zufrieden. Und der Hersteller auch.
Nochmal zum Mitschreiben …
- Um beim Marketing ins Schwarze zu treffen, musst du mit dem Verhalten, den Wünschen und Visionen deiner Zielgruppe bestens vertraut sein – nur so kannst du ihnen geben, was sie wollen (und brauchen).
- Dabei ist es egal, wenn dein Marketing bestimmte Menschen abschreckt. Denn die sind ohnehin nicht deine ideale Kundschaft.
- Menschen kaufen nicht dein Produkt, sondern das, was sie sich davon versprechen – einen schönen Abend mit ihren Lieben, eine bessere Gesundheit oder mehr Ansehen in der Gesellschaft, je nachdem, was du anbietest.
Genauso hat es auch dieser Wodkahersteller gemacht.
Er wusste: Meine Zielgruppe ist nicht gerade reich, wär’s aber gern. Deshalb biete ich ihnen eine Flasche an, die aussieht wie eine von den Oligarchen.
Auch wenn dieser russische Wodka vermutlich nicht so phänomenal und besonders ist, wie verspricht.
Denn wie wir alle wissen: Des Wodkas reine Seele kommt selbstverständlich aus Berlin … 🤪

